Internet of Things – Gedanken zum Hype

Dank unseren Studierenden in der Vorlesung Aktuelle Trends in Bibliothekswissenschaft und -praxis durfte ich mich etwas intensiver mit der Thematik Internet of Things und dem möglichen Einsatz in Bibliotheken befassen. Zudem hatte ich Gelegenheit, der Präsentation von Projektarbeiten von Studierenden der Multi Media Productions an der HTW Chur zum Thema IoT zu verfolgen.

Google-Trends

Eins scheint klar: IoT ist ein Hype. Dies belegen Google Trends sowie die Position auf dem Gartner Hype Cycle, wo sich IoT in den letzten vier Jahren auf den „Höhepunkt der übersteigerten Erwartungen“ hin bewegt hat. Entsprechend folgt nun unweigerlich der Abstieg ins Tal der Desillusionierung. Da dürften meine kritischen Gedanken also durchaus im Trend liegen…

Wer sich fundierter über die Grundlagen des IoT informieren möchte, verweise ich gerne auf folgenden Artikel: Mattern, F., & Flörkemeier, C. (2010). Vom Internet der Computer zum Internet der Dinge. Informatik-Spektrum, 33(2), 107–121. Zugänglich unter http://www.vs.inf.ethz.ch/publ/papers/Internet-der-Dinge.pdf 

Es beginnt mit dem Inhalt des Begriffs: was ist denn Internet of Things, und was ist es nicht? Wie ich den Begriff verstehe, spielen die vernetzten Dinge eine zentrale Rolle, die  miteinander kommunizieren, indem sie Daten (über ihren Standort oder von Sensoren gelieferte Messwerte) aussenden, die andernorts (von anderen Dingen oder von Anwendungen) empfangen und analysiert werden. Und aus der Interpretation dieser Daten wird dann eine Aktion ausgelöst, eventuell auch ein Mensch informiert, der dann die Entscheidung trifft, ob und was getan werden soll. Technisch gesehen spielen also Sensoren eine wichtige Rolle sowie die drahtlose Kommunikation, die beide möglichst klein und energiesparend sein müssen, damit sich einzelne Dinge vernetzen lassen. Für die Analyse und Interpretation der Daten kommen dann Technologien und Anwendungen zum Einsatz, die unter das Stichwort Big Data fallen. Wobei das „eigentliche“ IoT auch diese Funktion tendenziell den vernetzten (und intelligenten) Objekten zuschreibt.

Wenn man sich nach möglichen Anwendungen umschaut, wird sehr vieles erwähnt, das zwar mit einzelnen dieser Technologien arbeitet, aber kaum je das gesamte Konzept umfasst. Am ehesten scheint mir das bei den autonomen Fahrzeugen umgesetzt. Hier steuern sich Maschinen auf der Grundlage von Sensordaten des eigenen und anderer Fahrzeuge und der Umwelt, die sie vernetzt austauschen, von selbst.

Ein anderer Begriff ist das Internet of Everything, bei dem (wie ich es verstehe) auch Menschen als interagierende Subjekte einbezogen werden. Hier kommt zum Beispiel eHealth in den Fokus oder auch Quantified Self und Wearables. Im Konzept IoT würden dann die von den Sensoren (Fitnessbänder, Smart Watches etc.) gemessenen Werte drahtlos weitergegeben, um von anderen Objekten oder von Anwendungen aufgenommen und analysiert zu werden. Und dann würden Aktionen ausgelöst. Ein nettes Szenario habe ich auf einer Website des EU-Programms für IoT gefunden (Video auf Youtube): der Professor kriegt in der Nacht Fieber, was die Sensoren an die Uni melden. Dort wird der Stundenplan aktualisiert und bei den Studierenden wird automatisch der Wecker um eine oder zwei Stunden umgestellt… Brave new world!

Mein Eindruck von solchen Szenarien: der persönliche Teil mag ja noch OK sein und vielleicht zur Sicherheit älterer Menschen beitragen, wenn zum Beispiel ein Notruf bei bestimmten Messwerten ausgelöst wird. Aber die Reaktion der „Intelligenten“ Systeme ist einfach gruselig.

Die erwähnten Studierendenprojekte haben oft auf ein solches Setting gesetzt: Sensoren am Körper werden eingesetzt um Arbeitsplätze im flexiblen Büro zu planen, um Gesundheitsvorsorge im Betrieb zu unterstützen, um den idealen Zeitpunkt von Meetings zu bestimmen usw. Das scheinen aus Sicht von ArbeitnehmerInnen doch eher Horrorszenarios mit totaler Überwachung und Bevormundung. Und die Szenarien haben nichts (oder nur wenig) mit IoT zu tun. Meiner Ansicht nach sollten wir eHealth und Quantified Self klar von IoT trennen, denn unsere höchst persönlichen Gesundheitsdaten sollten privat sein und nicht Teil des IoT.

Wie müssen also IoT ohne eHealth etc. denken. Dann kommt das Smart Home in den Fokus. Wobei auch hier kaum das gesamte Konzept des IoT zum Einsatz kommt, sondern einzelne Technologien, die dazu dienen, dass mein Home auf meine Bedürfnisse angepasst wird. Will ich wirklich mehr, als dass ich verschiedene Zustände meines Heims (Klima, Beleuchtung, Sicherheit) aus der Ferne abrufen und beeinflussen kann? Möchte ich wirklich, dass die Sensoren ihre Daten mit anderen austauschen und daraus autonom Aktionen generieren? Ach ja, den intelligenten Kühlschrank darf ich nicht vergessen. Auch hier ist vieles denkbar, das aber in der Realität entweder nicht einfach umzusetzen oder schlichtweg nicht sinnvoll ist. Will ich wirklich, dass die leere Milch automatisch nachbestellt wird? Es kann durchaus nützlich sein, wenn ich unterwegs wüsste, was genau in meinem Kühlschrank steht und wie viel – und ob es noch geniessbar ist. Aber der Aufwand, all diese Dinge zu vernetzen – also auch die Butter, die Joghurts, den Käse usw. mit RFID auszustatten -, scheint mir in keinem Verhältnis zu einem möglichen Nutzen. Da gebrauche ich doch lieber noch meine grauen Hirnzellen oder lasse mich beim Einkaufen von meinen aktuellen Gelüsten leiten…

Dann werden Smart Cities oft genannt, wenn es darum geht, die Vision des IoT zu illustrieren. Wir haben im Unterricht den Bericht von Ilhan Aylin über die Smart City New Songdo behandelt. (Aylin Ilhan, „Evaluation ubiquitärer Informationsdienste in New Songdo City“. LIBREAS. Library Ideas, 27 (2015). http://libreas.eu/ausgabe27/06ilhan/) So richtig Spass scheint das Leben in einer Smart City nicht zu machen. Was aktuell im Trend liegt, ist die erhöhte Sicherheit, die durch smarte Sensoren erzielt werden kann. Doch auch hier stellt sich gleich wieder die Frage, wie viel Überwachung wollen wir zulassen, damit diese Systeme ihre volle Wirkung entfalten können?

Die Bedenken überwiegen: Wer profitiert letztlich von den ubiquitären vernetzten Dingen? Wer wird von dieser Technologie ausgeschlossen? Wohin fliessen die Daten und wer kann sie auswerten? Wie abhängig machen wir uns damit von den Dingen – von Maschinen, Sensoren, intelligenten Systemen? Wer entscheidet über das Auslösen von Aktionen? Wie anfällig sind die Systeme für Angriffe? Diese Fragen stellen sich insgesamt im Umgang mit Big Data, und dazu möchte ich auf das Digital Manifest verweisen, das u.a. Forschende der ETH Zürich kürzlich veröffentlicht haben.

In der Vorlesung habe ich das Thema zunächst umrissen, und wir haben Für und Wider diskutiert. Trotz der Vorbehalte haben wir dann auch noch nach möglichen Einsatzszenarien in Bibliotheken gesucht. Das Thema wurde im Horizon Report 2014 Library Edition und in einer Publikation von OCLC zumindest angesprochen. Tendenziell sagt man, dass IoT in verschiedenen Bereichen zum Einsatz kommen könnte. Genannt werden etwa Inventarkontrolle, mobile Bezahlung, Registrierung, Zugangskontrolle und Authentifizierung, Steuerung des Raumklimas, Navigation im Raum, Verfügbarkeit von Ressourcen (Medien, Räume), intelligente Bücher, Gaming, augmented Reality sowie assistive Technologie.

Wenn wir diesen Anwendungen aber die eingangs genannte umfassende Definition von IoT gegenüberstellen, dann fallen die wenigsten darunter. Es sind Einsatzmöglichkeiten von NFC, RFID oder Bluetooth für die drahtlose Kommunikation mit Objekten und teilweise Funktionen im Bereich Logistik, aber nur im geschlossenen System einer Bibliothek. Sinnvoll erscheint mir eigentlich nur der Einsatz im Bereich Arbeitsplätze und Räume. Hier ein solches Szenario:

Mit geeigneten Sensoren (z.B. Drucksensoren) wird genau ermittelt, welche Arbeitsplätze belegt sind. Über eine Weboberfläche wird dies den Nutzenden angezeigt, und sie erkennen, wo es noch freie Plätze gibt. Nun könnte man eine Funktion einführen, mit deren Hilfe Plätze (kurzfristig) reserviert werden können. Im Raum wird durch ein rotes oder grünes Lämpchen angezeigt, welche Plätze frei sind. Sobald sich jemand setzt, wechselt die Ampel auf rot – sowohl im Raum wie auch im Web. Nun könnte das System so schlau sein, dass es bei Vollbelegung neue Räume anbietet, die gerade frei sind. Das könnte an einer Universität durchaus vorkommen. Also wird auch die Belegung der Räume überwacht und zentral analysiert. Weiter kann man Gruppenräume mit dem System überwachen, und noch mehr: Räume können reserviert werden, und Zugang erhalten nur diejenigen Personen, auf die der Raum gebucht ist. Und weil ich gerade im Schwung bin: man könnte auch das Klima (gewünschte Temperatur) voreinstellen. Ach ja, und die Stühle rollen natürlich von selbst in gewünschter Zahl in den Raum. So, und jetzt frage ich mich, was daran wirklich Internet of Things ist… Ein solches System wäre ja immer noch stark auf eine Institution beschränkt, also eher Intranet of Things.

Es gibt übrigens noch eine Reihe denkbarer Anwendungen, welche sich rund um das Buch drehen. Das Buch ist mittels RFID bereits jetzt tendenziell ein vernetztes Objekt – oder zumindest ein Objekt mit einem Sender. Wenn nun die Regale entsprechend ausgestattet werden, werden diese zu intelligenten Regalen, welche registrieren, wenn ein Buch entnommen wird und wo sich welches Medium befindet. Mittels RFID, Bluetooth (iBeacon) und NFC lassen sich hier durchaus spannende Anwendungen vorstellen. Aber – Sie ahnen es schon – was hat das mit Internet der Dinge zu tun? OK, ich könnte von zu Hause aus sehen, ob mein Buch noch im Regal steht oder nicht. Boah! Aber es macht keinen Sinn, dass diese Daten mit anderen ausgetauscht und ausgewertet werden.

Mein Fazit zum Thema Internet der Dinge in Bibliotheken: für einmal lohnt es sich, die Entwicklung interessiert und distanziert zu verfolgen. Handlungsbedarf sehe ich für eine Weile keinen. Ich werde darauf zurückkommen, wenn IoT durch das Tal der Desillusionierung gegangen ist und wenn erste richtig sinnvolle Anwendungen zu erkennen sind. Bibliotheken werden hier bestimmt nicht Vorreiter sein.

Autor: mrudolf

Director of University Library Zurich, former Director of State and University Library Lucerne (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern), former Professor for Library Science at HTW Chur (university of applied sciences), co-editor of Informationspraxis, co-principal investigator of the Horizon Report Library Edition, blogging on library topics - and also on mindful living (in German as Männerherz)

3 Kommentare zu „Internet of Things – Gedanken zum Hype“

  1. Der Bereich Gebäudeautomatisierung ist ansatzweise schon umgesetzt. Angesprochen u.a. in:

    Brahms, E., & Schrader, J. (2013). Die Smart Library UB Hildesheim – Energieverbrauch senken durch intelligente Steuerungssysteme. In P. Hauke (Ed.), IFLA publications: Vol. 161. The Green Library. The challenge of environmental sustainability (pp. 269–278). Berlin u.a.: De Gruyter Saur. Retrieved from http://edoc.hu-berlin.de/miscellanies/greenlibrary-42062/269/PDF/269.pdf

    Zu diesem Hype habe ich übrigens ein angefangenes Posting, das u.a. diese Vorschläge enthält:

    Szenarien:
    1. Sensoren messen die Innen- und Außentemperatur sowie die Zahl der NutzerInnen in verschiedenen Bibliothekszonen und lösen dadurch Klimatierungssteuerungen aus.

    2. Bibliothek hat selbstfahrende Stühle, die sich je nach Nutzerbewegung in der Bibliothek verteilen. Möglichst nicht alle den Nutzern hinterher, aber das könnte man sicherlich mehr oder weniger smart steuern.

    Dies scheinen offensichtliche Ideen zu sein. ;o)

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